HAVE 4/2004

Organisationshaftung – mit ungleichen Ellen gemessen

Oliver Waespi, Seite 271

Bei verschiedenen Haftungsformen, die man dem Begriff der «Organisationshaftung» zuordnen kann, wird die Haftung einer arbeitsteiligen Organisation von einer Art objektiven Unsorgfalt abhängig gemacht. Zur positiven Vertragsverletzung, zu Art. 58 OR wie auch zur Staatshaftung gemäss Art. 3 VG hat sich diesbezüglich eine nuancierte Rechtsprechung herausgebildet, welche – trotz der unterschiedlichen Rechtsnaturen dieser Haftungsgrundlagen – eine Haftung an ähnlich umschriebene, u.a. nach Voraussehbarkeit ex ante und Zumutbarkeit abgestufte Sorgfaltspflichten anknüpft. Demgegenüber geht die neuere Auslegung von Art. 55 OR von tendenziell strengeren Sorgfaltspflichten aus, die kaum mehr zu erbringen sind. Diese Auslegung erscheint verfehlt und wurde mehrfach kritisiert. Es ist deshalb anzustreben, die organisatorischen Sorgfaltspflichten des Geschäftsherrn nach Art. 55 OR künftig wieder feiner abzustufen und so die Geschäftsherrenhaftung in einen Wertungsgleichklang mit den anderen beschriebenen Haftungsformen zu bringen.

Le préjudice ménager: encore et toujours ou les errances du dommage normatif

Guy Chappuis, Seite 282

Der Autor setzt sich im Lichte der neueren Entwicklung in Lehre und Rechtsprechung kritisch mit den verschiedenen massgebenden Faktoren zur Berechnung des Haushaltschadens auseinander. Der Begriff des normativen Schadens sei unscharf und lasse Raum für beliebige Interpretationen, in denen sich mitunter die gesellschaftlichen Anschauungen reflektieren. Um die Einheitlichkeit des Haftpflichtrechts zu gewährleisten, spricht sich der Autor dafür aus, den Haushaltschaden durch eine konkrete Berechnungsmethode zu ermitteln und formuliert acht Thesen zur Berechnung des Haushaltschadens.

Die Interpretation medizinischer Gutachten in Arzthaftpflicht- und Arztstrafprozessen

Peter Jäger und Angela Schweiter, Seite 290

Angesichts der grossen Bedeutung, die dem medizinischen Gutachten in Arzthaftpflicht- und Arztstrafprozessen zukommt, ist es wichtig, dieses eingehend auf Logik, Schlüssigkeit und Begründetheit zu überprüfen. Der Artikel zeigt einige Aspekte auf, die bei der Interpretation von medizinischen Gutachten eine Rolle spielen.

Die Asbestproblematik im europäischen Kontext

Claudio Parizzi, Seite 296

Asbest wird in einem Zug mit Massenklagen und jahrzehntelangen Prozessen in den Vereinigten Staaten erwähnt, mit Entschädigungszahlungen in Milliardenhöhe oder eben mit daraus folgenden Firmenkonkursen und Nachlassverfahren nach amerikanischem Muster (Chapter 11) von Gesellschaften, die Asbest herstellten oder verwendeten und deren Mitarbeiter Asbest ausgesetzt waren. Jüngeres Beispiel ist etwa die amerikanische ABBTochter Combustion Engineering, die im Januar 2003 in Konkurs ging und der ABB Asbestklagen in Milliardenhöhe hinterliess, welche nun Gegenstand von gerichtlichen Vergleichsverhandlungen sind. Weniger bekannt ist, wie die Asbestproblematik in europäischen Gerichtssälen bisher behandelt worden ist und welches Ausmass sie hier angenommen hat.

Le droit préférentiel du lésé, en l’absence de prétention directe de celui-ci – application du droit préférentiel abstrait ou concret?

François Kolly, Seite 302

Kann der Haftpflichtversicherer dem subrogierenden Sozialversicherer das (abstrakte) Quotenvorrecht des Geschädigten entgegenhalten, wenn die geschädigte Person auf die Geltendmachung ihrer Haftpflichtforderung verzichtet? Diese Frage stellt sich immer wieder bei Regressverhandlungen. Der Autor nimmt einen zwischen der IV und einem Haftpflichtversicherer geschlossenen gerichtlichen Vergleich aus dem Jahre 2002 zum Anlass, um die Problempunkte aufzuzeigen. Nach einer Schilderung des zugrunde liegenden Falls (Ziff. 1), erstellt er einen Überblick über die gesetzlichen Grundlagen (Ziff. 2) und den Stand der Rechtsprechung (Ziff. 3 und 4) und Lehre (Ziff. 5). Abschliessend
zeigt er mögliche Lösungsansätze auf (Ziff. 6).

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